Donnerstag, 28. März 2024
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Immer angespanntere Situation in Kliniken

Ausgangssperre im Main-Kinzig-Kreis wird nach Gerichtsurteil aufgehoben

„Es ist offensichtlich so, dass für die Umsetzung einer nächtlichen Ausgangssperre nicht das Gesamtlagebild in einem Landkreis ausschlaggebend ist, sondern ausschließlich der Blick auf den nackten Inzidenzwert“, kommentiert Landrat Thorsten Stolz eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt vom Freitag.

Ein Kläger erstritt, geltende Ausgangssperre nicht beachten zu müssen

„Unsere Betrachtung der Gesamtsituation der Corona-Pandemie, der Situation in den Krankenhäusern, insbesondere auf den Intensivstationen, der Entwicklung des Infektionsgeschehens und der Verbreitung der britischen Mutante im Kreisgebiet spielt de facto bei der Bewertung von Maßnahmen für die Eindämmung keine Rolle. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.“ Ein Kläger hatte für sich das Recht erstritten, die seit diesem Dienstag geltende Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr nicht beachten zu müssen.

„Diese Entscheidung haben wir zu respektieren, halten sie allerdings für falsch“

Main-Kinzig-Landrat Thorsten Stolz

Der Main-Kinzig-Kreis hat das Urteil vom Freitag zum Anlass genommen, kurzfristig in einer Verwaltungsstabs-Runde eine Entscheidung zu fällen: Das Recht des Einzelnen wertet der Kreis angesichts der Reichweite des verfügten Sachverhalts als übertragbar auf alle Bürger. So wird die Ausgangssperre mit sofortiger Wirkung wieder aufgehoben. Allerdings bleibt sie aus Sicht des Kreises ein Mittel der Wahl, sollte sich die Lage im Kreis im Hinblick auf die Belastung des Gesundheitssystems und die Entwicklung des Infektionsgeschehens weiter verschärfen. Vor allem aber kann sie zunächst nur eine Option sein, sollte sich die Zahl der Infektionen pro Woche und je 100.000 Einwohner oberhalb der Marke von 200 bewegen, denn dort hatte das Verwaltungsgericht mit seinem Urteil angesetzt. Die Polizei sowie die Ordnungsämter sind über die neue Situation bereits in Kenntnis gesetzt worden.

Am Freitag vor einer Woche (2. April) hatte der Main-Kinzig-Kreis eine Ausgangssperre angekündigt und sie zum Dienstag in Kraft gesetzt. Als Grundlage dienten die folgenden Punkte:

Das Infektionsgeschehen ist weitgehend diffus und nicht auf wenige lokale Ereignisse zurückzuführen.
Das Infektionsgeschehen verteilt sich über die gesamte Fläche des Kreises, die weit überwiegende Zahl der Kommunen weist einen Inzidenzwert von über 100 auf.
Die Situation in den Kliniken ist zunehmend angespannt, die Zahl der stationären Aufnahmen geht rapide nach oben.
Die intensivmedizinischen Kapazitäten sind am Anschlag und müssen erhöht werden.
Die Infektionsketten sind nur noch zu 70 Prozent nachzuvollziehen; in immer höherem Maße stecken sich die Menschen im privaten Umfeld an (etwa 60 Prozent der Fälle).
Die Modellrechnungen sagen in absehbarer Zeit einen Anstieg des Inzidenzwerts auf über 200 voraus.

Die britische Virusvariante breitet sich immer mehr aus.

In der Beurteilung des Gesamtlagebilds hat der Verwaltungsstab die Notwendigkeit zum Handeln gesehen, insbesondere bei der Reduzierung der Kontakte zwischen verschiedenen Haushalten.

Für Landrat Thorsten Stolz, Erste Kreisbeigeordnete Susanne Simmler und Kreisbeigeordneten Winfried Ottmann ist es nicht nachvollziehbar, warum in manch anderen Bundesländern die vereinbarte Regelung für Ausgangssperren ab einem Inzidenzwert von 100 unmissverständlich festgelegt wurde, um genau diese Kontaktreduktion zu erreichen, in Hessen jedoch ausdrücklich erst ab einem Wert von 200. Hessen habe die zwischen Bund und Ländern vereinbarte „Notbremse“ ab einem Wert von 100 nicht konsequent umgesetzt, insbesondere im Bereich der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, so die Kritik.

Im Main-Kinzig-Kreis haben sich die Belegungszahlen in den Krankenhäusern in den vergangenen Tagen stetig nach oben bewegt. Insgesamt sind es um die 100 Covid-Patienten auf den einzelnen abgesonderten Stationen der Kliniken, das entspricht einem Anstieg von mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vormonat. Auf den Intensivstationen befinden sich aktuell 23 Bürger, überwiegend in einem Alter von Anfang 30 bis Mitte 70. Auf ein Beatmungsgerät sind etwa die Hälfte der Intensivpatienten angewiesen.

Schon vor Wochen hatte der Kreis davor gewarnt, dass sich das Infektionsgeschehen deutlich in die mittleren und jüngeren Jahrgänge verlagere, die in der Regel mobiler sind und täglich im Schnitt mehr Kontakte haben. Dies vor dem Hintergrund einer sich ausbreitenden britischen Virusvariante, die infektiöser wirkt und sich schneller ausbreitet. In den Krankenhäusern kommt diese Entwicklung mit einiger zeitlicher Verzögerung nun an. Aktuell werden in den vier Kliniken im Kreisgebiet Eingriffe und Therapien verschoben, um Stationen gezwungenermaßen freizuräumen für eine weiter eskalierende Situation.

Die Pandemielage bleibt im Kreis also angespannt, die nächtliche Ausgangssperre wird dennoch aufgrund der gerichtlichen Entscheidung aufgehoben. „Ein wirksames Mittel zur Eindämmung des Infektionsgeschehens und zur Entlastung der medizinischen Systeme ist die Reduzierung von Kontakten, gerade im privaten Bereich, auf den wir zuletzt etwa drei von fünf Infektionen zurückführen konnten. Gerade mit Blick auf dieses Infektionsgeschehen sind Maßnahmen der allgemeinen Kontaktbeschränkung dringend geboten“, so Landrat Stolz. Eine Ausgangssperre sei nicht das Allheilmittel, aber ein Baustein, um Ansteckungen im privaten Bereich zu reduzieren.

Stolz, Simmler und Ottmann haben eine erneute Initiative in Richtung des Landes Hessen angekündigt, den Landkreisen und kreisfreien Städten rechtssichere und realitätsnahe Handlungsmöglichkeiten an die Hand zu geben. Dazu müsse gegebenenfalls das Eskalationskonzept des Landes angepasst werden. Die Marke von 200, ab der die kommunale Ebene weitergehende Maßnahmen zur Kontaktreduktion „in Betracht ziehen“ solle, wie es derzeit das Konzept ausweise, sei „mit dem Pandemiealltag vor Ort schwer kompatibel“ und entspreche nicht den Vereinbarungen von Bund und Ländern hinsichtlich der „Notbremse“.

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