Freitag, 26. April 2024
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“Gut, dass ich George vor 30 Jahren traf”

Klein-Krotzenburgerin "Mama Maria" wird 90 Jahre alt

Kaum jemand, der in Klein-Krotzenburg oder in Hainstadt lebt, kennt sie nicht oder hat noch nicht von ihr gehört. Ähnlich wie die indische Ordensschwester „Mutter Teresa“, weltweit bekannt durch ihre Arbeit mit Armen und Obdachlosen, so kennt man Maria Schwab in unserer Region als „Mama Maria“. Am heutigen Mittwoch feiert sie ihren 90. Geburtstag, rüstig und engagiert geblieben für ihre Arbeit mit Flüchtlingen und Heimatsuchenden und täglich im Dienst an ihren Mitmenschen unterwegs.
Nein, eigentlich will sie gar nicht in die Zeitung, sie will nicht im Mittelpunkt stehen, Bescheidenheit scheint oberstes Gebot zu sein, doch für unsere Redaktion ist sie eine jener Heldinnen, die im Verborgenen arbeiten und dennoch sehr viel bewirken.
‘s Blättsche-Redakteur Bernhard Koch kennt sie und ihre Arbeit seit mehr als 50 Jahren und erfährt in einem exklusiven Interview trotzdem so einiges Neue.

? Sie betreuen Flüchtlinge in KKB? Seit wann? Wie viele sind das? Wie kam es dazu?
! Es war an einem Sonntagmorgen vor genau 30 Jahren. Damals sah ich im Gottesdienst einen jungen Afrikaner, den ich auf dem Heimweg ansprach und zum Kaffee trinken einlud. Vieles berichtete mir George aus seinem Leben in Kamerun.
Durch das Gespräch entwickelte sich ein Projekt, das bis heute läuft.
Im Heim an der Siemensstraße und weiteren Häusern leben seit 1992 Flüchtlinge und Heimatsuchende, derzeit etwa 175.

? Aber alleine machen Sie das nicht alles?
! Nein, schon lange haben wir einen ökumenischen Asylkreis mit vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, der sich alle vier Wochen trifft und viele Aktionen und Angebote vorbereitet.

? Der Tagesablauf einer engagierten 90-Jährigen ist also gerettet?
! Das kann man so sagen. Es kann sein, dass jeden Moment jemand dasteht, der Hilfe braucht.

? …beispielsweise?
! Jemand in Nöten oder mit seelischen Sorgen in der Familie, jemand der Kleidung braucht, ein Fahrrad, Möbel, einen Fernseher oder manchmal auch Geld.

? Und dann schicken Sie ihn zur Kirche!
! Nur in Notfällen springt die Caritaskasse der Gemeinde ein. Manchen leihen sich von mir Geld, aber ich weiß, dass sie später wieder kommen und es zurückgeben.

Maria Schwab mit ihrem Ehemann Edmund vor der Bildergalerie von Enkeln und Urenkeln. Bild: beko

? Sie arbeiten aber auch mit vielen Stellen und Institutionen zusammen?
! Ja. Die Begleitung und Vermittlung im Kontakt mit Behörden, Ärzten und Krankenhäusern ist genauso wichtig wie die Begleitung von jungen alleinstehenden Müttern in den Kreißsaal oder auch das Dabeisein in Krankheit bis hin zum Tod. Ein Eritreer ist mir da in Erinnerung: Ihn konnte ich beim Sterben betreuen und das war etwas ganz Wichtiges und Besonderes für mich.

? Dann stehen die Menschen doch auch oft bei Ihnen an der Haustür.
! Ja, genau! Fast täglich haben wir Asylsuchende im eigenen Haus, aber zum Glück gibt es auch viele andere ehrenamtliche Helfer, die beim Vermitteln von Jobs, beim Organisieren von Möbeln und vielen anderen Dingen anpacken.

? Da fällt mir auch der Kleiderladen ein…
! …stimmt, im ehemaligen Kaufhaus Mittl. Acht Frauen sind dort regelmäßig im Einsatz, nehmen dienstags Spenden an und geben mittwochs und donnerstags Kleider an Geflüchtete aus. Und es gibt ganz viele Menschen, die für Bedürftige Textilien und Haushaltswaren zu Verfügung stellen.

? Und es gibt Ihren Mann Edmund, der auch im Hintergrund für die Menschen am Rande der Gesellschaft arbeitet.
! Allerdings. Er unterstützt mich in allen Aufgaben, organisiert Möbel, übernimmt Fahrdienste, vermittelt Geflüchtete an andere Menschen in der Gemeinde, die sich auch kümmern und helfen können.

? Wie diese Familie aus dem Iran?
! Ja. Die sollten abgeschoben werden. Da war es für meinen Mann selbstverständlich, die bei uns aufzunehmen. Und es war dann vor etwa 20 Jahren eine der ganz besonderen Adventszeiten im Hause Schwab.

? Aber irgendwann ziehen die Flüchtlinge ja weg, finden Wohnungen, tauchen nicht mehr auf.
! Von wegen. Viele kommen immer wieder hierher zurück. Wie Petro, der inzwischen Kleidertransporte für Afrika organisiert, Antonio aus Belgien, wie Beata aus Ruanda, die heute in Gelnhausen lebt, oder jene Frau, die an der Tür stand, in ihre Tasche griff und Rosenblüten über meinen Kopf warf, mit den Worten „Mama Maria, das ist Liebe“. Plötzlich stehen sie vor der Tür, gerade aus Kalifornien kommend und in Frankfurt zwischengelandet.

? Stichwort „Mama Maria“ – wie kam’s denn dazu?
! Da sind wir wieder bei George aus Kamerun, der jetzt in Heidelberg lebt. Er hat damals vor 30 Jahren gesagt „Mama Maria, I love you“, seitdem sagen die Geflüchteten im Heim nur noch „Mama Maria“ zu mir. Ein Name, dem ich gerecht werden will.

? Das klingt alles danach, dass es keine negativen Erfahrungen gibt.
! Richtig. Im Gegenteil. (Maria Schwab schaut auf die zahlreichen Fotos an der Wand) Alles ist positiv, auch unsere Enkelkinder, die vorwiegend soziale Berufe erlernt haben, sagen mir „Wenn Du nicht wärst, hätten wir vieles nicht gemacht!“ Eine Enkeltochter hat gar ihre Masterarbeit über Asylrecht geschrieben und sie ihren Großeltern gewidmet.

? Also die ganze Familie Schwab ist eingespannt in das Projekt „Flüchtlinge“?
! Kann man so sagen. Und wenn ich mal nicht weiterweiß, einen Rechtsanwaltstext nicht verstehe oder Hilfe bei Formulierungen für einen Behördenbrief brauche, dann ist mein Sohn Tobias im Haus oder ein Enkelkind erreichbar.

? Es gibt also genügend Helfer. Da werden keine mehr gebraucht?
! Doch schon. Jede Hilfe ist willkommen, es gibt genug zu tun. Nicht nur beim Deutsch-Unterricht, bei der Hausaufgaben-Betreuung oder anderen caritativen Aufgaben.

? Jetzt interessiert uns natürlich noch: Was macht Maria Schwab, wenn sie sich mal nicht um Flüchtlinge und Heimatsuchende kümmert?
! (Maria Schwab bleibt erst mal sprachlos und ruft ihren Mann hinzu.) Der bringt es auf den Punkt: Sie kümmert sich um Haus und Garten und das ist eine Menge Arbeit. Und vor allem: Sie hält Ordnung in allen Unterlagen. Sie weiß genau, wo was zu finden ist. Und sie lässt sich kaum reinreden, wenn es um die Gestaltung von Festen in der Familie und in der Pfarrgemeinde geht.

? Zufriedenheit also zum 90. Geburtstag?
! Das kann man so sagen. Wir haben ein reiches und erfülltes Leben. Für mich ist das eine schöne Aufgabe. Gut, dass ich vor 30 Jahren George auf der Straße angesprochen habe, sonst hätte ich das alles nicht erlebt.

? Und der Wunsch zum Neunzigsten?
! Dass viele unser Projekt zur Bekämpfung des Hungers in Ostafrika von Caritas International und Diakonie Katastrophenhilfe unterstützen und dafür spenden mit dem Stichwort „Maria Schwab“. IBAN DE85 5206 0410 0000 0031 31.

? Bleibt noch die letzte Frage: Wer aus der Familie darf zum 90. Geburtstag heute gratulieren?
! Leider kann unser jüngstes Kind nicht dabei sein, das ist kurz nach der Geburt gestorben, aber es gibt uns aus dem Himmel die Kraft, die wir brauchen. Es gratulieren neben Ehemann Edmund vier Kinder, zehn Enkelkinder mit Partnerinnen und Partnern verschiedener Nationalität und Religion sowie sechs Urenkel. Und wer weiß: Vielleicht noch zwei weitere Urenkel, deren Geburt in diesen Tagen erwartet wird.

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