Im August 2018 begann ein für die Verantwortlichen wie auch die Bürger gleichermaßen außergewöhnliches Projekt in Hanau. Das Neustädter Rathaus wurde auch für kulturelle Veranstaltungen geschlossen, damit endlich die lange überfälligen Sanierungsarbeiten durchgeführt werden konnten. Ursprünglich war angedacht, das historische Gebäude im Herzen der Stadt im Frühjahr 2020 wiederzueröffnen – letztlich dauerte es nun aber bis Anfang September 2022, um alle Arbeiten fertigzustellen.
“Die Sanierung des historischen Rathauses der Stadt Hanau war für den zuständigen Eigenbetrieb Hanau Immobilien- und Baumanagement keine alltägliche Baumaßnahme. Immer wieder sorgten unvorhergesehene Funde, aber auch Lieferschwierigkeiten von Baumaterialien für Verzögerungen”, erklärt Oberbürgermeister Claus Kaminsky.
Die Sanierung selbst war seit langem ein Wunsch der Stadt. Bereits im Jahr 2012 erfolgte eine Nutzungseinschränkung der Obergeschosse. Die letzte Stadtverordnetenversammlung direkt am Marktplatz lag indessen noch länger zurück und fand am 19. September 2011 statt. Anschließend musste die politische Gremienarbeit an andere Plätze verlegt werden. 2016 erfolgte ein Beschluss der Stadtverordnetenversammlung für eine Neukonzeption des Rathauses, die neben der Überarbeitung des Brandschutzes auch eine vollständige Barrierefreiheit erreichen sollte.
Ende 2018 beschloss die Stadtverordnetenversammlung dann die Sanierung. Rund 9,3 Millionen Euro wurden dabei aus städtischem Etat eingeplant. Aufgrund einiger unvorhergesehener Hürden beliefen sich die Sanierungskosten am Ende auf rund elf Millionen Euro, wobei rund zwei Millionen Euro durch Fördermittel des Landes Hessen Aktive Kerne abgedeckt wurden. Darüber hinaus gab es objektbezogene Zuschüsse des Landesdenkmalamts für die Restaurierung des Balkongeländers sowie der Stiftung der Sparkasse Hanau für das Glockenspiel. Weitere 775.000 Euro wurden in Medientechnik und Möbel investiert.
Eine ereignisreiche Bauphase
Gebaut wurde in mehreren Phasen. Zunächst stand eine komplette Entkernung des Gebäudes an. Bereits in dieser frühen Phase wurden das beliebte Glockenspiel und die Turmuhr außer Betrieb gesetzt, da Staub, Vibrationen und Fremdeinwirkungen Schäden hätten verursachen können. Rathausbesucher und -mitarbeiter mussten seither mitunter einen etwas weiteren Weg zurücklegen, da wegen der Baustellen-Einrichtung im Rathaus-Innenhof der westliche Seitenzugang nicht möglich war. An dieser Stelle nämlich positionierte die ausführende Baufirma einen Zaun, den Lastenaufzug und das Gerüst.
“Während des ersten Bauabschnitts erhielten wir einen tiefergehenden Einblick in die Bausubstanz hinter Decken und Wänden”, so Weiss-Thiel weiter. Dabei stießen die Fachkräfte vor Ort auf allerlei unvorhergesehene Umstände. So wurden beispielsweise ein in keinem Plan verzeichneter Kellerraum sowie ein alter Brunnen gefunden. Letzterer befand sich überdies auch noch an der Stelle, an der ein Aufzugsschacht neben dem Treppenhaus errichtet werden sollte.
Auch die Rohbauarbeiten verzögerten sich: Aus statischen Gründen mussten diese in vielen kleinen Einzelschritten ausgeführt werden. So war beispielsweise auch der Einbau von Brettsperrholzdecken zur Erhöhung der Traglast notwendig. Und: Unter den Sandsteinstützen im Keller fehlten Fundamente. “Dieser Mangel musste entsprechend behoben werden”, sagt Weiss-Thiel.
Historische Herausforderungen
Grund für die vielen unvorhergesehenen Funde ist nicht zuletzt die Historie des Gebäudes. Bereits vor dem Umbau 1962 wurden nach dem Krieg neue Rippendecken in das Gebäude integriert. Da diese während des anschließenden Umbaus erneut statisch verändert wurden, war eine Tragfähigkeit nach heutigen Standards nicht mehr gewährleistet. Die Decke über dem Stadtverordneten-Sitzungssaal musste komplett abgebrochen und durch eine neue Holzdecke ersetzt werden. Die hierzu verwendeten, rund acht Meter langen Elemente mussten mittels eines Krans und einer speziell angefertigten Hebebühne durch die Fensteröffnungen herein transportiert werden.
Das Untergeschoss war vormals nicht erschlossen und ist erstmalig seit dem Zweiten Weltkrieg wieder begehbar. Dabei wurde eine sehr schöne Entdeckung gemacht: Ein Teil einer Treppe, die noch aus den Anfangsjahren des Rathauses Anfang des 18. Jahrhunderts stammt, ist noch erhalten. Dieses historische Zeugnis blieb beim Wiederaufbau nach dem Krieg verschüttet und kann nun in der Kellerebene bestaunt werden.
Modern, sicher, barrierefrei
Nachdem nun alle Arbeiten abgeschlossen sind, ist das Rathaus technisch auf dem neusten Stand. Ein Beispiel hierfür ist der “Himmel” im Elisabeth-Selbert-Saal. Über den Köpfen der Stadtverordneten wird künftig eine Aluminiumdecke für ausgeglichene Temperaturen sorgen. Denn: Belüftung, Heizung und Kühlung wurden nach modernsten technischen und energetischen Erkenntnissen modernisiert.
Auch den Anforderungen an das Thema Brandschutz wurde Rechnung getragen. Das alte, offen gestaltete Treppenhaus musste durch ein in sich abgeschlossenes ersetzt werden. Hierfür waren aufwendige Eingriffe in das historische Gewölbe notwendig, um die Deckendurchbrüche umzusetzen. Anschließend wurde eine sogenannte Druckspüllüftung verbaut. Im Brandfall wird so der Rauch mittels Überdruck aus dem Treppenhaus über das Dach abgeführt.
Für eine Teilhabe am politischen Leben wurde das Neustädter Rathaus barrierefrei umgestaltet. Menschen mit eingeschränkter Mobilität können jetzt mit Hilfe des neuen Aufzugs alle Geschosse erreichen. Auch die Errichtung barrierefreier Sanitäranlagen sowie der Einbau von motorisch gesteuerten Zugangstüren im Eingang und im Treppenhaus zu den einzelnen Geschossen dient der uneingeschränkter Nutzung.
Auch äußerlich wurde das Rathaus komplett saniert. So erhielt das Dach eine Neueindeckung aus Schiefer. Die historische Sandsteinfassade wurde möglichst originalgetreu wiederhergestellt. Die neuen Sprossenfenster entsprechen dem historischen Aussehen des Gebäudes und erfüllen gleichzeitig modernste energetische Erfordernisse. Der beliebte Adventskalender wird von den Sprossen nicht beeinträchtigt. Für diesen Zweck werden Vorsatzrahmen mit integrierter LED-Beleuchtung in die Sandsteingewände eingesetzt, um das Rathaus zur Weihnachtszeit wieder in Hessens größten Adventskalender zu verwandeln.
Hoch über dem Marktplatz thront Hanaus Wappentier. Der stolze Schwan glänzt nicht nur wieder, sondern kann sich nach seiner Restaurierung auch wieder im Wind drehen. “Aus meiner Sicht sind gerade diese optischen Komponenten ein tolles Symbol für Hanau: Gemeinsam mit der Stadtpatronin Hanovia, die frisch herausgeputzt vom Wappen des Balkons auf das Treiben der Stadt blickt, symbolisiert der Schwan bei aller Veränderung und Erneuerung die Tradition und Stabilität der jahrhundertealten Geschichte Hanaus”, sagt Oberbürgermeister Kaminsky abschließend.