Dienstag, 15. Oktober 2024
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Heute schon einen Glücksmoment gehabt?

„Hans im Glück“ feiert Premiere bei Brüder-Grimm-Festspielen

Vom Glück, das eigene Glück als Glück zu empfinden. So könnte man die Kernaussage der Inszenierung von „Hans im Glück“ zusammenfassen, die am Samstag vor vollen Rängen im Hanauer Amphitheater ihre Premiere hatte. Wie gewohnt, berichtet Britta Hoffmann vom Pressebüro mum über die Veranstaltung.

Dieses vierte Stück der diesjährigen Brüder Grimm Festspiele sei, wie Intendant Frank Lorenz Engel in seiner Begrüßung betonte, erneut eine Welturaufführung und damit etwas ganz Besonderes in der Märchentheaterwelt. Die Festspiele dauern noch bis zum 30. Juli. Die Hanauer Version der Geschichte um den Müllergesellen, der mit Zuversicht und Idealismus durch die Welt geht und aus seinen vermeintlich dummen Tauschgeschäften immer seinen ganz eigenen Nutzen zieht, berührt und unterhält zugleich. Das Publikum ließ sich gerne mitreißen und zeigte seine Begeisterung mit viel Szenenapplaus und lang anhaltenden stehenden Ovationen.

Als Erstes sieht der Zuschauer einen Wegweiser zum „Glück“. Doch dieses Glück, so erkennt man an den vielen Richtungspfeilen, findet man überall und egal, welchen Weg man einschlägt. Am Wegweiser lehnt der Erzähler der Geschichte: Speck (Fabian Baecker), eigentlich von Beruf Räuber, inzwischen aber im Rahmen einer Umschulung in einem ehrlichen Broterwerb mit besseren Arbeitszeiten, wie er betont. Sogleich nimmt er das Publikum mit in die Müllerfamilie, in der Hans (durchgehend überzeugend: Michael Berres) „der immer glücklich schien“, seit nunmehr sieben Jahren als Geselle lebt. Nun aber ist es Zeit für ihn, seinen Lehrbetrieb zu verlassen und nach Hause zu seiner Mutter zurückzukehren, ans Meer, das ihm so sehr fehlt.

Zum Abschied überreicht ihm der Müller seinen Lohn für sieben Jahre Arbeit quasi in einem Stück, nämlich als Goldklumpen. Hans macht sich auf den Weg und stellt nach kurzer Zeit fest, dass so ein Goldklumpen ganz schön schwer und unhandlich ist. Das sieht Bertram, der durchtriebene „Geschäftsmann“ (wunderbar halbseiden: Dieter Gring), der mit seinem Gefährten, dem einfach gestrickten „Krähe“ (entzückend dümmlich: Victoria Grace Finlay) unterwegs ist, ganz anders. Er hat wenig Mühe, Hans zum Tausch des Goldes gegen sein Pferd zu überreden.

Überhaupt: Das Pferd. Wer Christopher Krieg in der vielschichtigen Persönlichkeit des Orgon in „Tartuffe“ erlebt hat, kann im ersten Moment kaum glauben, dass es Krieg ist, der hier als divenhaftes, eigenwilliges Ross auf der Bühne steht. Das Publikum ist vom ersten Moment an hingerissen von dem ehemaligen Turnierpferd, das seine verblichenen Rosetten als Erinnerung an bessere Zeiten noch am Revers trägt. Alleine Kriegs Technik des Wieherns hätte schon einen Orden verdient.

Räuberbande träumt von Gewerkschaft

Doch zurück zur Handlung: Auftritt der vierköpfigen Räuberbande. Schnell wird dem Zuschauer klar, dass es sich hier um eine echte Spezialistentruppe handelt (Judith Jakob, Claudia Brunnert, Fabian Baecker), die ihre energische Anführerin Jule (temperamentvoll, doch verletztlich: Anna Larissa Grosenick) zur Verzweiflung treibt. Die Szene, in der sie auf Geheiß der Chefin das Anschleichen üben, ist unfassbar komisch und auch das Lamentieren über die schlechten Arbeitsbedingungen, der Ruf nach einer Gewerkschaft oder „wenigstens einem bunten Abend im Monat“ macht einfach Spaß.

Beim Überfall auf Bertram und Krähe, die noch schnell ihre Habseligkeiten verstecken konnten, lassen sie sich einreden, es treibe ein anderer Räuber im Wald sein Unwesen – ab sofort versuchen sie, diesen zu finden. Blöd für Bertram, dass er zwar die waldschratigen Kleinkriminellen ablenken konnte, aber auch seinen Goldklumpen im Versteck zurücklassen muss. Nun treffen sich Jule und Hans das erste Mal, und auch hier ist Regisseurin Nina Pichler und Autor Stephan Lack ein unterhaltsamer Kunstgriff gelungen: Es gibt eine Art „Seitendialog“, in der beide Figuren ihre eigentlichen Gedanken äußern – Hans findet sich zu nett und irgendwie zu forsch, Jule ist im Grunde ihres Herzens eine Romantikerin, gibt aber die Kratzbürste. Am Ende traut sich keiner, den ersten Schritt zum Kennenlernen zu machen. Entzückend und unterhaltsam.

Zeit für den nächsten Tausch: In einem Gasthaus wird eine offensichtlich ältere Kuh von ihren Besitzern aus dem Stall geführt – sie sinkt erschöpft auf einen Stuhl; die Wirtsleute haben die Nase voll von ihr, weil sie keine Milch mehr gibt, aber zu alt und zäh ist für die Verarbeitung. Da kommen Hans und sein bockiges Pferd gerade recht, und der Tausch Pferd gegen Kuh wird besiegelt. Sehr sehenswert: Die „Nebenszene“ zwischen der immer wieder einnickenden Kuh (großartig: Claudia Brunnert), die auf die Schulter des davon ziemlich angewiderten Pferdes kippt. Der Gaul freut sich über sein neues Zuhause und sieht wieder bessere Zeiten auf sich zukommen – der Zuschauer aber sieht das Schild, das die Wirtin aufstellt: „Ponyreiten 10 Taler“.

Das Schwein der Herzen

Auch mit der Kuh hat Hans indes kein Glück: Sie haut ihm immer wieder ab. Bei einer seiner Suchaktionen trifft er einen Bauern, der seinerseits sein entlaufenes Schwein sucht. Dieses Geschäft ist ein Win-Win für alle Beteiligten: Der Bauer trauert um seine verstorbene Kuh Johanna und sieht hier einen mehr als adäquaten Ersatz, Hans möchte sie loswerden, und beide Tiere freuen sich auf ein neues Leben.

Ein echter Sympathieträger hat hier seinen großen Aufritt: Fabian Baecker, das Schwein, das einen Neuanfang als Glücksschwein macht. Es wirft rosa Glitzer, es tanzt, es hängt voller Zuneigung an Hans – und zwar buchstäblich. Das Publikum ist schockverliebt in diesen treuherzigen Schatz in rosa Plüsch (Kostüme und Maske sind wieder voller wunderbarer Details! Auch die Kuh mit Euterhandtasche ist ein Hingucker. Verantwortlich: Anke Küper und Kerstin Laackmann, Wiebke Quenzel).

Inzwischen haben Jule und ihre Räuber den Goldklumpen gesichert und wollen nun mit einer List den vermeintlichen Räuber, der in ihrem Wald sein Unwesen treiben soll, überführen. Dabei schnappt sich Bertram den falschen Stein, und der als Felsbrocken getarnte Goldklumpen fällt als perfekter Wetzstein einem Scherenschleifer in die Hände. Achtung, nächste Szene, bei der man unbedingt auf das Nebenher achten muss: Hans und sein Glücksschwein treffen „Krähe“ und eine Gans. Judith Jakob als watschelndes, G-stotterndes („G-g-Gold“) Federvieh beherrscht mit ihrer Darstellung und ihrer „gansigen“ Präsenz die Bühne. Schwein gegen Gans und schließlich Gans gegen „Wetzstein“ – der Kreis schließt sich.

Natürlich finden am Ende auch Jule und Hans zueinander. Der Goldklumpen landet zwar im Brunnen, aber Hans freut sich darüber wie ein Schneekönig: „Ich bin frei!“ Seine Lebensphilosophie, dass es keine materiellen Dinge braucht, um ein glückliches Leben zu führen („Ich habe etwas viel Wertvolleres. Mein Glück.“), bringt er hier noch einmal auf den Punkt. Der Schlusssatz gehört aber dem Pferd: Es galoppiert forsch in die Bühnenmitte und brüllt einfach „Ende“.

„Hans im Glück“ besticht durch übersprudelnde Spielfreude und schauspielerisches Können, durch Dynamik ohne Hektik, durch liebevolle Details in Dialogen, Inszenierung, Kostümen und Ausstattung und durch feinen Tiefgang. Hier kann man lachen, schmunzeln, gerührt sein und erlebt große Aussagekraft ohne die moralische Keule. Viele Erkenntnisse des vermeintlich einfältigen Hans sind Dinge, die einem den Alltag entschleunigen können, wenn man sich denn drauf einlässt. Und das materielles Glück nicht unbedingt das ist, was wirklich glücklich macht, das wissen wir wohl alle.

Tickets für „Hans im Glück“ und alle anderen Produktionen gibt es bei allen bekannten Vorverkaufsstellen sowie online unter https://www.festspiele-hanau.de/festspiele.de/

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