Samstag, 27. April 2024
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So fühlt sich die 73-jährige Maria Bauchova: Lippenlesen ohne die Lippen funktioniert nicht

Einladung in das Empfinden eines Gehörlosen / „Oh, irgendwie verstehe ich nichts.“

Einfach einmal die Ohren ganz fest zuhalten und alle Geräte im Zimmer ausschalten. Die Vorstellung klingt absurd, warum sollte man so etwas tun? In Wirklichkeit ist diese Vorstellung aber eine Einladung in das Empfinden eines Gehörlosen. Wer den Effekt noch verstärken möchte, kann sich auch eine weitere Person zur Hilfe nehmen, die anstatt laut zu sprechen bloß ihre Lippen bewegt. Dann wird man sich in etwa so fühlen können wie die 73-jährige Gehörlose Maria Bauchova aus Klein-Auheim.
Um die Vorstellung nun aber noch der Corona-Pandemie anzupassen, ist diese nur dann wahrheitsgetreu, wenn sich die Person gegenüber noch einen Mund-Nasen-Schutz aufzieht. Spätestens dann wird man merken „Oh, irgendwie verstehe ich nichts.“. Um dieses Problem zu lösen, könnte man nun einfach aufhören, sich die Ohren zuzuhalten. Für Gehörlose allerdings gibt es diese einfache Lösung nicht und sie müssen versuchen, mit den Umständen leben zu können.
Dadurch, dass Bauchova schon von ihrer Geburt an gehörlos ist, kann sie mit diesem Umstand eigentlich gut umgehen und ist es gar nicht anders gewohnt, erzählt ihre Tochter Monika Bauch, die in Froschhausen wohnt. Normalerweise verständigt sie sich durch Gebärdensprache, oft aber auch durch Lippenlesen. Das kann sie nämlich sehr gut, solange die Buchstaben deutlich ausgesprochen werden. Dabei wird ihr der Mund-Nasen-Schutz, in dessen Namen nun ja schon steckt, dass er die Lippen im besten Falle bedecken sollte, zu einem Hindernis. Lippenlesen ohne die Lippen zu sehen ist eben schwierig und funktioniert auch mit Übung nicht. Bauchova hat sich zwar mittlerweile an die Umstände gewöhnt und kann beispielsweise ein freundliches „Danke“ oder ein Lächeln unter den Masken erkennen, einen ganzen Satz aber würde sie somit nicht verstehen. Einspringen muss dann meist ein Zettel mit Stift, den nun aber auch nicht jeder immer dabei hat, oder eben das Smartphone, auf dem man die Sätze dann eintippen kann.

„Oh, deshalb hat sie nicht reagiert“

Jugendliche, die eine Gehörlose an einem Pfandautomaten in Klein-Auheim den Vortritt lassen wollten


„Oh, deshalb hat sie nicht reagiert“ ist eine der Reaktionen auf Missverständnisse, die durch diese erschwerte Kommunikation entstehen. Eigentlich wollten ein paar Jugendliche Bauchova am Pfandautomaten in Klein-Auheim nur vorlassen, was diese allerdings nicht verstand und deshalb nicht reagierte. Die Jugendlichen würden sich wahrscheinlich noch heute fragen, was an ihrer netten Geste falsch wäre, hätte Bauchovas Tochter die Situation nicht einen Moment später erklärt.

Auch auf dem Hanauer Wochenmarkt ist nicht alles ganz einfach für die gehörlose Maria Bauchova. Bild: privat
Auch auf dem Hanauer Wochenmarkt ist nicht alles ganz einfach für die gehörlose Maria Bauchova. Bild: privat

Im Grunde klingen diese Missverständnisse lustig, spätestens nach den nächsten paar Malen sind sie für die Betroffenen aber ganz bestimmt nicht mehr so amüsant. Problematisch wird es nämlich vor allem, wenn Bauchova wichtige Informationen mitgeteilt werden müssen, so etwa beim Arzt. Zwar wird sie, wie beim Einkaufen, auch hier von ihrer Tochter begleitet, gerade in solchen Situationen ist es aber ihr Wunsch, trotz Maske selbst kommunizieren zu können.
Nimmt man nun einmal die Kommunikationsprobleme aus, wirft die Pandemie für Bauchova aber noch weitere Probleme auf. Dadurch, dass man das Corona-Virus weder sehen, noch riechen, noch anfassen kann – das wäre auch eine erschreckende Vorstellung – kann Bauchova nicht vollkommen verstehen, was es damit genau auf sich hat.

Außerdem kann wahrscheinlich fast jeder von sich sagen, dass er Fremdwörter, die erst durch die Pandemie aufkamen, zum Teil nicht kannte und man erst einmal überlegen musste, ob das eben Gesagte überhaupt Deutsch war. Gehörlose haben allgemein schon einen kleineren Wortschatz, der sich eher nicht auf rechtliche oder medizinische, sondern alltägliche Wörter beschränkt. Dadurch ist es für Maria Bauchova oft schwer, zu verstehen, wovon die aktuellen Nachrichten im Detail handeln. Genauso kann wahrscheinlich jeder von sich behaupten, schon einmal mit einem großen Fragezeichen über dem Kopf vor dem Fernseher gesessen zu haben, weil er im ersten Moment überhaupt nicht wusste, was er durch die Maßnahmen nun darf und was nicht. Diese ändern sich schließlich sehr schnell und sind dann auch noch von Landkreis zu Landkreis unterschiedlich.

Für Bauchova, die ihre gesamten Informationen fast nur aus der Zeitung und dem Fernsehen erhält, ist es noch viel schwieriger, alle Geschehnisse verfolgen zu können.
Viel tun kann man leider nicht, um Bauchova die Situation zu erleichtern. So sind Visiere nicht mehr erlaubt und die Maske kann man ja im Moment schlecht weglassen. Helfen würde aber schon, wenn man sich zumindest darum bemüht, zu ihr und anderen älteren Menschen Abstand zu halten, denn Bauchova selbst kann sich in solchen Situationen nicht beschweren und möchte nicht durch wildes Gestikulieren unfreundlich wirken.

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