Sonntag, 13. Oktober 2024

Quo vadis?

Gedanken rund um die Jugendarbeit / Lösungen für fehlende Jugendzentren erwünscht

In unseren Online-Gesprächen mit Erstwählern aus Klein-Auheim und Steinheim war die Situation für junge Menschen eines der wichtigsten Themen in beiden Stadtteilen. Daher hat die Redaktion diesen Schwerpunkt noch mit zusätzlichen Interviews vertieft. Nadine*, Isabell*, Marie* (alle 18 Jahre alt), Daniel* (22 Jahre), Sebastian* (23 Jahre), Anna* und Johanna* (beide 17 Jahre) haben sich die Zeit genommen und mit der ‘s Blättsche-Redaktion über ihre Erfahrungen und Wünsche gesprochen. Auch wenn sie selbst “davon nichts mehr haben werden” (Isabell*), für ihre jüngeren Geschwister oder Freunde wünschen sie sich für die Zukunft eine Lösung und endlich wieder eine Anlaufstelle für alle Jugendlichen. (*Alle Namen sind anonymisiert, der Redaktion bekannt und werden aus Datenschutzgründen nicht veröffentlicht).

Es war ein kurzes Vergnügen für die Jugend aus Klein-Auheim und Steinheim. 2012 eröffnet und bereits 2014 wieder geschlossen wurde das Jugendzentrum “Schlachthof” an der Fasaneriestraße in Klein-Auheim. Auf große Gegenliebe bei Anwohnern und einigen Lokalpolitikern war das Projekt, der Umbau des ehemaligen Schlachthofes als städtischen Jugendtreff, bereits von Anfang an nicht gestoßen. Lärm wurde befürchtet, für Jugendliche aus Steinheim sei der Weg bestimmt zu weit und die Angebote würden daher nicht angenommen werden. Nach vermehrter Öffentlichkeitsarbeit, vielen Gesprächen und umfassender Renovierung des Gebäudes konnte dann schließlich doch der Treff eröffnet werden. Betreut von Sozialarbeitern der Stadt Hanau wurde das Angebot “Schlachthof” auch tatsächlich von den Jugendlichen angenommen – und nach Sparvorgaben bereits zwei Jahre später wieder geschlossen. Die Stadt setzte im Anschluss auf den Ausbau der Kooperationen mit beispielsweise der evangelischen Kirchengemeinde in Steinheim. Die Idee eines mobilen Jugendzentrums aus 2016 , ein Kleinbus, wurde aus Etatgründen nicht verwirklicht. Seitdem ist für Jugendliche aus den beiden Stadtteilen nicht viel passiert. Wohin nun also, wenn man zwischen 13 und 18 Jahre alt ist, mal Ruhe vor den Eltern und Geschwistern haben, sich mit Freunden treffen, Musik hören und vielleicht auch mal tanzen möchte?

Die Stadtbücherei als “Undercover-Teenager-Treff”

Seit der Schließung des Jugendzentrums “Schlachthof” in Klein-Auheim bleibt der Jugend tatsächlich wenig Auswahl. Die meisten haben ein Schülerticket für den Bus, so geht einer der ersten Wege, ab dem Alter von 12 Jahren, meist nach Hanau-Innenstadt in Richtung Forum. Hier hat sich in der dortigen Stadtbücherei so etwas wie ein “Undercover-Teenager-Treff” entwickelt: es gibt ein Dach über dem Kopf, Sitzgelegenheiten und vor allem auch kostenloses W-LAN. So kann man – wenn man nicht allzu laut ist – zumindest eine Zeit lang mit Freundinnen und Kumpels abhängen, bevor man aufgefordert wird, die Stätte wieder zu verlassen.

Chillen am Wasser – aber wohin wenn es regnet oder kalt ist? Symbolbild. pixabay

Eine Bücherei ist nämlich nicht als Jugendtreff gedacht. Leise sein ist schwer (man möchte sich ja über den neuesten Klassen- und Schultratsch austauschen) und so geht der nächste Weg entweder ins Forum selbst, den Marktplatz mit Burger-Pilgerstätte und wieder zurück Richtung Freiheitsplatz. Das Forum ist für Shopping in Ordnung, einfach so aufhalten darf man sich dort nicht unbedingt. Das macht die Security schnell klar: Rumsitzen geht nicht, mitgebrachte Snacks darf man auch nicht essen, im Forum soll verzehrt werden, was in den ansässigen Bistros gekauft wurde. Der Busbahnhof ist zwar interessant für “sehen und gesehen werden”, verliert aber spätestens mit 14 oder 15 Jahren bei den meisten seinen Reiz.

Was nun? Das Mainufer – das ist der nächste favorisierte Platz. Hier gibt es immerhin eine Skateranlage unter der “Hellenhang-Brücke” (auch gut, wenn es regnet und man kein Skater ist), Einkaufsmärkte (die Snacks) in gut erreichbarer Nähe, Spazier- und Radwege mit Sitzbänken. Auch das Einkaufszentrum Rondo und der nahe Steinheimer Wald mit den Steinbruchseen ist bei gutem Wetter ein Ausflugsziel für Teenager. Man hört auch immer wieder (wenn Gießkannen verschwinden oder ähnliches), dass wohl auch die Friedhöfe ab und an ein Treffpunkt von jungen Menschen seien und “die Jugendlichen” für Beschädigungen verantwortlich gemacht werden. Die Autorin kann sich zwar Schöneres vorstellen als Treffen auf Friedhöfen, aber kann schon sein, dass es so ist – irgendwo müssen die Teenager ja hin. Und es gibt wenigstens genug Bänke zum Sitzen.

Jugendarbeit ist durch Pandemie besonders erschwert

Die Kirchengemeinden in beiden Stadtteilen bieten im Rahmen ihrer Möglichkeiten – in der Regel hauptsächlich mit Ehrenamtlichen gestemmt – Gruppenstunden und auch mal Sommer-Freizeiten an. Offene Treffs gibt es hier nur wenig bis gar nicht. Ob diese Angebote ausreichen und den Großteil der Jugendlichen aus Klein-Auheim und Steinheim ansprechen, ist allerdings die Frage. Ist man nicht durch die Familie in der Kirchengemeinde verwurzelt, oder die beste Freundin in der Gruppenstunde, findet man den Weg dorthin vermutlich eher weniger.
Ein weiterer möglicher Anlaufpunkt sind die örtlichen Vereine, wenn man beispielsweise Fußball und Handball spielen möchte oder in der Garde tanzen. Aber auch hier muss man sich “festlegen” für eine Sportart oder Gruppe. Gerade in jungen Jahren, wenn Heranwachsende sich ausprobieren möchten in ihren Interessen und noch nicht wissen, wo ihre Reise hingeht, ist das auch nicht für jeden das Richtige. Seit 2020 und dem Beginn der Pandemie ist all dies aber nun weggefallen. Kein Mannschaftsport ist möglich im Moment, Vereins- und sonstige Stadtteilfeste finden nicht statt, keine Gruppenstunden oder Freizeiten.

Dieses Corona-Schicksal würde selbstverständlich auch ein Jugendtreff in Steinheim oder Klein-Auheim teilen, das ist klar. Es gibt mittlerweile genug Studien zu psychischen Problematiken bei Kindern und Jugendlichen in der Pandemie, nicht nur über die aus sogenannten problematischen Verhältnissen. Sie sind wenig bis nicht mehr erreichbar für Sozialarbeiter und Pädagogen aus Jugendzentren, engagierten Lehrern oder auch dem Jugendamt. Bildung und Gesellschaftsklassen, Probleme bei Betreuung und Homeschooling, mangelnde Digitalisierung der Schulen – die Zukunft junger Menschen und Familien ist erneut in den Diskussionen angekommen. Das Einsparen von Ausgaben für Soziales, das langsame oder nicht Investieren in Kinder, Jugendliche und Bildung, die von vielen als unfair empfundene Verteilung von Mitteln sind Themen, die in den vergangenen Jahren vernachlässigt oder auch mit falschen Schwerpunkten entschieden wurden. Es wird sich zeigen, welche Lehren die (Lokal-)Politik daraus zieht und zu welchen Schlüssen die Wähler in 2021 kommen. Es gilt ebenso, den Fokus auf Prävention und Integration zu verstärken, nicht nur für Jugendliche, für alle Bürger von Hanau.

Interessante und niedrigschwellige Angebote sind dringend nötig

Der “Schlachthof” in Klein-Auheim als Jugendtreff an der Fasaneriestraße wurde 2014 geschlossen. Bild: beko

Was heißt das nun hinsichtlich der fehlenden (Freizeit-)Perspektiven für Jugendliche aus Klein-Auheim und Steinheim? Hier sind die Politiker gefragt. Die Parteien zur Ortsbeiratswahl haben ihre Antworten auch zu diesem Thema gegeben: meist offen, manchmal zwischen den Zeilen oder auch gar nicht. Dies ist für Interessierte in der Auswertung der ‘s Blättsche-Fragebogen-Aktion (an die Parteien zur Ortsbeiratswahl) in unserer Rubrik Lokalpolitik nachzulesen. Hierbei ist es wichtig zu wissen, dass die Vertreter im Ortsbeirat keine Entscheidungen treffen können oder Gelder, für beispielsweise ein Bürgerhaus oder Jugendzentrum, bewilligen. Der Ortsbeirat berät den Magistrat der Stadt Hanau. Die Parteien diskutieren die örtlichen Themen und bringen Anträge ein. Die daraus folgenden Beschlüsse sind Aufforderungen an den Magistrat, die wiederum über die jeweiligen Vertreter der Parteien in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht werden. Der Magistrat muss diese aber nicht zwingend umsetzen.

Die Dringlichkeit von interessanten und niedrigschwelligen Angeboten für Jugendliche – betreut von Fachkräften aus dem sozialen und psychologischen Bereich – sollte hingegen erkannt worden sein. Die Stadt Hanau steht hier in Verantwortung. Es darf nicht nur dem Ehrenamt und den engagierten Bürgern aus Kirchengemeinden und Vereinen überlassen werden. Unsere Interviewpartner aus Klein-Auheim und Steinheim sind sich jedenfalls einig: es wäre schön, wenn sie auch im Herbst und Winter ein Dach über dem Kopf hätten, außer der Brücke an der Skateranlage. Sie wünschen sich einen gemeinsamen Ort, an dem sie willkommen sind und einfach mal so sein dürfen, wie es in dem Alter zwischen 13 und 18 Jahren eben typisch ist.




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2 Kommentare

  1. Vielen Dank für die Zusammenfassung, die ich genau so sehe. Ich kann nur versprechen in unserer Fraktion weiter darauf zu achten, dass wir immer auch an unsere Jugend denken. Ich kann nur versprechen weiterhin meine Stimme zu erheben, wir brauchen dazu aber auch eine Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung um auch in die Verwaltung agieren zu können. Bitte helft uns dabei, und gebt uns Eure Stimme. Versprochen!

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