Freitag, 19. April 2024
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“In dem Ausmaß hatte ich es nicht für möglich gehalten”

Reaktionen auf die EVV-Studie / Pressekonferenz / Telefon-Hotline

“Wenn man jetzt auf dem Kardinal-Volk-Platz steht, steht man mit ganz anderen Gedanken da. Wir waren doch immer so stolz auf „unseren“ Kardinal… Ich betone “waren”. Jetzt überwiegt eine maßlose Enttäuschung.”

Eine von zahlreichen Reaktionen, die bislang vorliegen zur veröffentlichten EVV-Studie zu Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Verantwortungsbereich Bistum Mainz. Sollen Häuser, Plätze oder Räume weiterhin den Namen von ehemaligen Bischöfen tragen, die heute in einem etwas anderen Licht gesehen werden?” ist eine der Fragen, die auf der heutigen (8. März 2023) Pressekonferenz im Erbacher Hof in Mainz gestellt werden. Dazu im weiteren Verlauf des Artikels mehr.

Den Bischof vom Sockel herunter holen

Auch persönliche Konsequenzen werden gefordert, die “Führungsstruktur der Pfarrer” ist ebenso Thema in der Pressekonferenz wie Fragen nach “verborgenem Wissen” (“es wird sich schon jemand kümmern drum”), nach dem “Dunkelfeld”, der schlechten Kommunikation oder darüber, dass sich nun viele Menschen “ein neues Bild malen von Bischof Lehmann, den man vom Sockel herunter holen” sollte, ebenso wie den in Steinheim geborenen Kardinal Volk, in dessen Amtszeit (1962 bis 1982) Vieles nicht aufgearbeitet worden ist. Zahlreiche konkrete Beispiele in der EVV-Studie machen das deutlich.

Angemerkt wird, dass sich Betroffene weiterhin bei der Telefon-Hotline wenden können. Diese ist bis 17. März erreichbar unter 06131 – 253 522. Eine E-Mail kann gesendet werden an kontakt@bistum-mainz.de .

Bischof Peter Kohlgraf, Weihbischof und Generalvikar Dr. Udo Markus Bentz und die Bevollmächtigte des Generalvikars, Ordinariatsdirektorin Stephanie Rieth stellten sich den Fragen der Journalisten nachdem sie jeweils eigene Statements abgeben.

Sprechen über sexualisierte Gewalt soll kein Tabu mehr in der Kirche sein

Nachfolgend einige Äußerungen dazu in kurzen Ausschnitten:

Bischof Kohlgraf – In den vergangenen Tagen habe ich die tausend Seiten der Studie … gelesen. Mehrfach waren die Schilderungen für mich als Christ und Mensch zutiefst erschreckend.

Es wird im Bistum viel mehr gewusst, als wir wissen

Weihbischof und Generalvikar Udo Bentz

… Natürlich beschäftigt mich als Bischof von Mainz die Rolle meiner Vorgänger im Bischofsamt. Kardinal Hermann Volk erfreut sich immer noch großer Beliebtheit, noch mehr Kardinal Karl Lehmann. Menschen sprechen von ihm als „moralische Lichtgestalt“ und erfahren jetzt wie ich, dass es auch eine andere Seite seiner Amtsführung gab, besonders im Hinblick auf den Umgang mit vom Missbrauch Betroffenen.

… Ich bin dankbar dafür, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Das Sprechen über sexualisierte Gewalt soll kein Tabu mehr in der Kirche sein. Wir wollen aus dem Versagen der Vergangenheit lernen.

Weihbischof / Generalvikar Bentz – „Es wird im Bistum viel mehr gewusst, als wir wissen.“ … Das war 2019 meine Überzeugung, als wir das Projekt EVV initiierten. In meiner neuen Verantwortung als Generalvikar war ich zum ersten Mal mit Strafakten konfrontiert. Es gab die Gespräche mit Betroffenen und Beschuldigten. Ich wollte mehr wissen. Ich musste mehr erfahren.

Heute weiß ich durch die Studie tatsächlich mehr als bisher. … Die letzten Tage habe ich viele Stunden gelesen, Seite für Seite. Es hat mich aufgewühlt: Das ans Tageslicht kommende Leid, die widerfahrene Ungerechtigkeit und das gefährlich-fahrlässige Handeln. Es ist schwer erträglich. Der gebündelte Blick auf das, was geschehen ist und was unterlassen wurde – in dem Ausmaß hatte ich es nicht für möglich gehalten.

Wir wissen jetzt mehr, als wir bisher wussten: vor allem wie tief der Graben zwischen öffentlicher Rede und internem Handeln über weite Strecken war. Etliche Menschen – manche mit Wut, andere mit Traurigkeit – haben mir im Blick auf Kardinal Lehmann gesagt: Mein Bild von ihm ist zerbrochen! Mir ergeht es ähnlich.

Stephanie Rieth – Zu allererst möchte auch ich mich bei den vielen Betroffenen von sexualisierter Gewalt bedanken, die den Mut hatten, von ihrer Geschichte zu erzählen. Ohne sie gäbe es diese Studie nicht. Ich bin durch meine tägliche Arbeit mit vielen Inhalten, die in die Studie Eingang gefunden haben, vertraut. Die Erlebnisse von Betroffenen jedoch in dieser Dichte und Brutalität lesen zu müssen, hat mich bestürzt.

… Das ist Unrecht geschehen, das zum Himmel schreit.

… Bei der Aufarbeitung dieses Verbrechens wird es unumgänglich sein, dass wir in der Kirche mehr und mehr lernen, uns auf Augenhöhe zu begegnen. Kein Mensch gehört auf ein Podest: kein Priester, keine Amtsträgerin, kein Mitarbeiter, kein Bischof. Die Überhöhung von Menschen hat wesentlich dazu beigetragen, dass Missbrauch in diesem Ausmaß möglich war – das haben die Autoren der Studie in der systemischen Auswertung überzeugend dargelegt.

… Ich bin überzeugt: Am Ende ist das Gespräch die wirksamste Prävention…

Ein Anrufer bei unserer Hotline, am letzten Wochenende hat angemerkt: „Ich treffe in meiner Pfarrei auf allen Ebenen auf Verharmlosung und Leugnung. Ich wünsche mir, dass die Bistumsleitung alle Möglichkeiten ausschöpft, um auf die Pfarreien einzuwirken, offen mit dem Thema sexualisierte Gewalt umzugehen. Das muss an den untersten Ebenen ankommen.“

Ausführlich und vollständig sind die Statements zu finden im Internet hier .

Fünf Dialogveranstaltungen aktuell geplant

Fünf Dialogveranstaltungen mit dem Bischof werden angeboten in den Regionen des Bistums Mainz. Für unsere Region interessant – Montag, 13. März, 19.30 Uhr in Offenbach und Donnerstag, 23. März, online um 19.30 Uhr. Anmeldung hier .

Vielfach bedanken sich die Verantwortlichen, aber auch Anrufer und Betroffene, bei Rechtsanwalt Ulrich Weber und Johannes Baumeister, die die EVV-Studie vorstellten. Bischof Kohlgraf hatte ein erstes Statement dazu veröffentlicht.

>> Gerne können Kommentare zu diesem Thema geschrieben werden. Anonyme Äußerungen werden nicht veröffentlicht. Das Regionalportal ‘s Blättsche trägt immer wieder dazu bei, dass solche Themen auch an den untersten Ebenen ankommen.

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